Deutschland ist das Land mit der am weitesten fortgeschrittenen Bevölkerungsalterung in Europa. Der gesellschaftliche Alterungsprozess zeichnet sich dabei durch erhebliche interregionale Verwerfungen der Lebensverhältnisse älterer Menschen in der ländlichen Peripherie gegenüber den urbanen Zentren aus: Ältere Menschen bleiben oft allein zurück, nachdem die jüngeren Generationen den besseren Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in den Metropolregionen gefolgt sind. Alltäglicher intergenerationaler Kontakt zu Kindern und Enkelkindern kann nicht länger vorausgesetzt werden. Hinzu kommen infrastrukturelle Benachteiligungen (z.B. geringe Ärztedichte, Fachkräftemangel, wenig Einkaufsmöglichkeiten, kaum öffentlicher Nahverkehr). Die Folge ist ein erhöhtes Risiko von Einsamkeit, fehlende Teilhabe an anderswo selbstverständlichen sozialen und kulturellen Angeboten, unzureichende Versorgung und Unterstützung im Krankheitsfall, bei Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit. Die ländlichen Regionen des Freistaats Sachsen – und hier insbesondere der Vogtlandkreis und der Landkreis Görlitz – sehen sich bereits heute einer deutlich fortgeschrittenen Alterung gegenüber. Es besteht die Gefahr, dass diese Entwicklung durch den Kohleausstieg bis 2038 und der daraus resultierenden abnehmenden Anzahl attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten in der Region noch beschleunigt wird.
Digitale gesundheitsbezogene Technologien sind als komplexe Interventionen zu verstehen, da sie häufig aus multiplen, interagierenden Komponenten bestehen oder aber weitere (teilweise auch nicht-intendierte) Veränderungsprozesse in Gang setzen. Zudem wirken digitale gesundheitsbezogene Technologien in komplexen Systemen, sodass bei der Entwicklung und Implementierung der Einbezug der Perspektive von Nutzer*innen und Stakeholdern von zentraler Bedeutung ist. Co-Creation ist ein zentraler Erfolgsfaktor, um die Potenziale der Digitalisierung auszuschöpfen und die Nutzer*innenakzeptanz zu erhöhen.
Im Idealfall identifizieren sich Nutzer*innen im Rahmen der Co-Design-Aktivitäten mit dem beabsichtigten Werkzeug und evaluieren kontinuierlich die Weiterentwicklungen, beeinflussen die Gestaltung, entscheiden über die Funktionalität oder erstellen sogar Teile des Systems selbst.
Um bei der Entwicklung, Bereitstellung und Weiterentwicklung solcher Lösungen die Interessen, Bedarfe und nicht zuletzt Innovationspotenziale ausreichend zu berücksichtigen, ist die Einbindung von Nutzer*innen wesentlich. Co-Creation und Partizipation bieten einen methodischen Zugang, um mit der akteurs-, kontext und technologiespezifischen Komplexität der Anwendungsbereiche Gesundheit und Pflege erfolgreich umgehen zu können. Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Entwicklung und Anwendung gesundheitsbezogener Interaktionssysteme werden dabei berücksichtigt. Dazu führt das Projekt die im Programm vorliegenden Ansätze und Erfahrungen – unter Berücksichtigung des internationalen Forschungs- und Innovationsstandes co-creativer Methoden.
Der hier vorliegende Projekt VATI 5 ist als notwendige Erweiterung der Forschungs- und Transferkapazität des GAT-Instituts im Bereich technische Assistenzsysteme für ältere und andere hilfebedürftige Menschen, sowie zur Entlastung ihrer sie unterstützenden/pflegenden Familienangehörigen und/oder professioneller Pflegekräfte konzipiert.
Das Projekt verfolgt eine Doppelstrategie: Es kombiniert Wissenstransfer durch eine zielgruppenspezifische Beratung Betroffener zu digitalen und anderen technischen Hilfsmitteln mit partizipativer Forschung zur Gestaltung von Assistenz- und Gesundheitstechnologien.
Vor diesem Hintergrund strebt das Projekt die Systematisierung und Weiterentwicklung von Theorien und Methoden der Co-Creation auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau an und geht damit über bisherige integrative Ansätze hinaus. Um dies zu erreichen und die Projekte bei der Weiterentwicklung ihrer Ansätze zu beraten, ist ein iterativer Begleitprozess vorgesehen
Ziel ist es, erfolgskritische Faktoren der Anwendung partizipativer und co-creativer Methoden zu identifizieren und hinsichtlich der Weiterentwicklung innovativer IT zur Förderung von Gesundheit und Lebensqualität zu erforschen. Auf den Punkt gebracht geht es darum, menschliche Hilfeleistungen nicht durch digitale Lösungen zu ersetzen, sondern sinnvoll zu ergänzen, um Hilfe- und Pflegeleistende zu entlasten.
Das Projekt wird gefördert vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK).