Es ist erst wenige Tage her, dass es traurige Gewissheit ist: Yve Stöbel-Richter lebt nicht mehr! Yve ist nach langer, schwerer Erkrankung von uns gegangen.
Mich hat in dieser Zeit beeindruckt, dass sie sich nie beklagt hat, sondern ihr Schicksal in Würde angenommen hat, um ihr Leben gekämpft hat und sich ihren Humor bis zum Ende bewahrt hat.
Ich kenne – auch wenn es schwerfällt: ich kannte – Yve Stöbel-Richter seit fast 36 Jahren, seit Herbst 1989, als ich an der Universität Leipzig mein Soziologiestudium begann. Wir haben gemeinsam den Herbst 1989 in Leipzig erlebt, das, was heute als ‚friedliche Revolution‘ bekannt ist, haben Ende 1989 bei den Montagsdemonstrationen Fragebögen verteilt, um die Beweggründe der Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen zu erforschen. Wir haben uns als Studierendenvertreter für Reformen an der damals noch Karl-Marx-Universität Leipzig eingesetzt, haben dafür gesorgt, dass die Interessen der Studierenden bei der Gründung des Instituts für Soziologie berücksichtigt wurden. Ich erinnere mich auch an gemeinsame Exkursionen nach Bremen oder Paris im Verlauf unseres Studiums … Irgendwann war das Studium vorbei und wir gingen alle unserer Wege. Yve wechselte an die Universität Grenoble in Frankreich und ich ging auf „die Insel“ nach London.
Yve Stöbel-Richter kehrte nach Leipzig zurück und begann ab 1993 in der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig bei Prof. Dr. E. Brähler ihre akademische Laufbahn in der Medizinsoziologie, wo sie 2001 zum Thema "Kinderwunsch als Intention – Zur Relevanz persönlicher und gesellschaftlicher Kinderwunschmotive als Prädiktoren des aktuellen Kinderwunsches" mit dem Prädikat "Magna cum laude" promovierte.
Sie verfolgte ihre wissenschaftliche Karriere mit weit überdurchschnittlichem Engagement und außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen, die sie über eine Stelle als wissenschaftliche Assistentin (2001-2004) zur Juniorprofessorin in Medizinischer Soziologie und Leiterin der Nachwuchsforschergruppe "Medizinische Soziologie mit dem Schwerpunkt: Soziodemographische Bevölkerungsentwicklung und Medizinisch-technischer Fortschritt" (2004-2007) brachte. Parallel arbeitete sie an ihrer Habilitation zum Thema „Fertilität und Partnerschaft – Familienbildungsprozesse im Lebensverlauf“, die sie 2008 erfolgreich abschloss.
Dem schloss sich eine unbefristete wissenschaftliche Tätigkeit als stellvertretende Abteilungsleiterin an, die in Anerkennung ihrer außergewöhnlichen wissenschaftlichen Leistungen in ihrer Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Universität Leipzig gipfelte. In diesen Jahren sammelte sie zudem internationale Erfahrungen an renommierten amerikanischen Universitäten wie der McGill University in Montreal, Kanada, oder der University of Maryland in Baltimore, U.S.A.
Neben den o.g. Forschungsschwerpunkten will ich eine besonders wichtige wissenschaftliche Errungenschaft hervorheben, an der Prof. Dr. phil. habil. Stöbel-Richter federführend beteiligt war: die seit 2003 gemeinsame Leitung der Sächsischen Längsschnittstudie (mit Prof. Brähler und Prof. Berth) zu den Schwerpunktthemen Arbeitslosigkeit und Gesundheit, sowie Familiengründungsprozessen.
Wie eingangs beschrieben, hatten Yve Stöbel-Richter und ich uns nach dem Ende unseres Soziologie-Studiums an der Universität Leipzig aus den Augen verloren. Umso größer war unsere Überraschung, als sich unsere Wege 2014 wieder kreuzten – diesmal als Professorin und Professor an der Hochschule Zittau/Görlitz (HSZG), wenngleich an unterschiedlichen Fakultäten. Ich war 2011 zum Professor für Soziale Gerontologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften berufen worden – Yve Stöbel-Richter wurde 2014 Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Fakultät für Management- und Kulturwissenschaften. Wir haben uns schnell wieder getroffen und unsere Freundschaft erneuert und das nächste gemeinsame Projekt in Angriff genommen: die Gründung des fakultätsübergreifenden Forschungsinstituts „Gesundheit, Altern, Technik“[1] (GAT) im Jahre 2016. Yve Stöbel-Richter war ebenso wie Prof. Dr. ing. Jörg Lässig maßgeblich an der Institutsgründung beteiligt. Wir haben das GAT-Institut seit seiner Gründung gemeinsam auf- und ausgebaut und geleitet.
Darüber hinaus gab es auch in anderen Funktionen Gelegenheit zur fakultätsübergreifenden, vertrauensvollen Zusammenarbeit in unseren Funktionen als Prodekanin der Fakultät für Management- und Kulturwissenschaften und Senatorin der HSZG (2015-2020) (Prof. Stöbel-Richter) bzw. als Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften (2015-2021) (Prof. Hoff).
Innerhalb des GAT verantwortete Yve Stöbel-Richter fachlich den Forschungsbereich ‚Arbeit und Gesundheit‘ und hatte so maßgeblichen Anteil daran, dass aus dem A wie Altern ein A wie Altern und/oder Arbeit wurde. Darüber hinaus hat sie sich mit mehreren konkreten Forschungsprojekten ins GAT eingebracht, wie beispielsweise als Projektleiterin der SMWK-geförderten Forschungsprojekte „Intergenerationale Vererbung von familialen Mustern. Intergenerationale Vererbung von Habitus, Familienmustern und berufsbiographischer Aspekte vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche“ oder „Akademisierte Pflege in der Region Oberlausitz - Chance für eine Neuausrichtung der Pflege in Studium und Beruf“.
Prof. Dr. phil. habil. Yve Stöbel-Richter wird uns in Zukunft sehr fehlen – als sehr geschätzte, erfahrene und wissenschaftlich herausragende Forscherin und Hochschullehrerin, als kollegiale und immer wertschätzende Kollegin und als gute Freundin. Yve, wir vermissen Dich!
Prof. Dr. Andreas Hoff
Institutsdirektor des GAT-Instituts
Das GAT-Institut möchte allen Kolleginnen und Kollegen und allen Studierenden die Möglichkeit geben, in einem digitalen Kondolenzbuch an Yve Stöbel-Richter zu erinnern:
Die Hochschule Zittau/Görlitz nimmt auch an anderer Stelle Abschied von Prof. Dr. phil. habil. Yve Stöbel-Richter
Der detaillierte akademische Lebenslauf von Prof. Dr. phil. habil. Yve Stöbel-Richter befindet sich hier